Familienzeit – Alltagszeit – Lebenszeit – Ewigkeit

Familien müssen vieles miteinander in Balance bringen. Viele Aufgaben sind zu verteilen, ein Einkommen muss erwirtschaftet werden, Organisation und Hausarbeit wollen geleistet sein, Pflege und Erziehung der Kinder kosten Zeit und binden Kräfte.

Herausforderung Vereinbarkeit

Alles unter einen Hut gebracht? Das ist eine Frage, vor der Familien immer wieder neu stehen. Die verschiedenen Bedürfnisse, Interessen, Anforderungen, Wünsche und Träume, die in einer Familie zusammenkommen, machen gerade die Vielfalt und den inneren Reichtum einer Familie aus. Aber im Alltagsgeschäft wollen sie miteinander in Einklang gebracht, aufeinander abgestimmt und nicht selten auch gegeneinander abgewogen sein. Die einen Idealvorstellungen werden dabei von den kleinteiligen Nöten des täglichen Lebens an den Rand gedrängt, andere werden vielleicht verwirklicht um einen Preis, der letztlich zu hoch ist. Anderes gelingt, vielleicht sogar gegen beeindruckende Widerstände, macht ein Stück weit glücklich und zufrieden, vermittelt das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.

Die Frage nach dem Sinn

Zwischen Wünschen und Nöten, zwischen Alltagssorgen und Edelsteinmomenten tut sich die Frage nach einem letzten Sinn des Zusammenlebens in der Familie und des je eigenen Lebens nicht immer unmittelbar auf. Familie ist eine Lebenswirklichkeit, die in gewisser Weise den Vorteil bietet, dass einem dabei die Sinnsuche über weite Strecken von einer Art Programm abgenommen wird. Wer sich nachts um ein weinendes Baby sorgt, wer eine pubertierende 15-Jährige in ihrem Liebeskummer zu trösten versucht, wer die eigene Rolle als Großvater oder Großmutter findet, wer eingespannt ist in die Pflege der eigenen Eltern, der findet darin zugleich eine Fülle von Möglichkeiten, sich selbst als gebraucht und bedeutsam für andere zu erfahren. Und doch geht vieles auch nicht so einfach auf, lassen so manche Lebenssituationen die Mitglieder der Familie in einem Gefühl der Hilflosigkeit und Ratlosigkeit zurück.

Spätestens dann, aber auch in vielen anderen Situationen des Lebens in Familie, oder auch nur angesichts der scheinbaren Ereignislosigkeit des Alltags, stellt sich letztlich doch die Frage danach, ob das eigene Leben einen Sinn macht und ob die vielen Alltagsmühen und Tagesgeschäftigkeiten sich wirklich in einen solchen Sinn integrieren lassen. Das Leben, so scheint es, zieht an mir vorbei, verschlingt die großen und kleinen Erfolge und Misserfolge und macht sie zu verblassender Vergangenheit: Aus den Augen – aus dem Sinn?

Mein Alltag prägt auch mein Leben

Aus der Perspektive christlicher Hoffnung übersieht eine solche Sichtweise einige ganz wesentlichen Besonderheiten unseres menschlichen Lebens. Weil wir Menschen nicht nur leibliche Wesen sind und in unserer Leiblichkeit, unserer Biologie, nicht einfach aufgehen, zerfließt unser Leben nicht in einer sich biologisch aufbrauchenden Weise. Wir sind leib-geistig-personale Geschöpfe und leben – so sagt es der christliche Glaube uns zu – unser Leben im Angesicht Gottes. Das, was wir tun, womit wir uns befassen und besonders das, worauf wir unsere „Liebesmüh“ verwenden, das prägt auch unser Leben. Es trägt bei zu unserer inneren Reifung – und sei es auch noch so kleinteilig, alltäglich, unscheinbar. Mein Leben wird nicht nur biologisch verbraucht, es wird auch angesammelt, füllt sich mit Erfahrungen und macht mich prägend zu der Person, die ich bin.

„Was bleibt, stiften die Liebenden“

Weil ich aber immer zugleich auch ein soziales Wesen bin, eingewoben in die Gemeinschaft der Mitmenschen, ohne die ich nicht sein und nicht reifen kann, deshalb prägt meine Geschichte auch die Entwicklung derer, die mit mir zusammen leben und umgekehrt. Was den Meinen, meiner Familie widerfährt, das widerfährt auch mir, geht auch ein in mein „So-geworden-Sein“. Dieses Miteinander und Aneinander gegenseitiger Prägung hat weit reichende Bedeutung im Guten wie im Bösen – oft sogar über Generationen hinweg.
Wenn es aber das ist, worum es in meinem Leben geht, dass ich meine Geschichte sammle und mich daran reifend entwickle, dann kommt es gerade auf jenes zwischenmenschliche Geschehen an, das Menschen aufblühen, sich entfalten und stark werden lässt: die aufrichtig liebende Zuwendung zum anderen, die in all ihrer verschiedengestaltigen Konkretheit immer von der tiefen Zusage durchdrungen ist: „Es ist gut, dass es dich gibt“. Nicht umsonst suchen die Menschen heute ausdrücklicher und sozialwissenschaftlich besser dokumentiert als je zuvor die Verwirklichung eines Lebens in einer Familie, die Zusammenhalt und Geborgenheit spendet. „Was bleibt, stiften die Liebenden“ formuliert der Theologe und Dichter Jörg Zink einmal und hält damit genau jenen Zusammenhang fest, auf den es in dieser Sinnsuche ankommt. Dort, wo es in aller Außergewöhnlichkeit oder in aller Alltäglichkeit gelingt, dass Menschen ihre enge Ich-Bezogenheit überwinden und sich aufrichtig einander mit diesem „Es ist gut, dass es dich gibt“ zuwenden, sich selbst daran verschenken – und sei es auch nur ein klein wenig – da geschieht und gelingt etwas, das weder durch den Alltagstrott noch durch das leibliche Vergehen je wieder getilgt zu werden vermag. Da kommt etwas in diese Welt, was es in ihr vorher nicht gegeben hat und was in den Personen und ihrer Gewordenheit bleibt: Die, die mich liebt, hat mir zugesagt, dass es gut ist, dass es mich gibt.

Ewigkeit als Frucht der (Alltags-)Zeit

Wie gesagt, im je neuen „alles unter einen Hut bringen“ ist diese Sinnperspektive sicher nicht immer so ohne weiteres präsent und offensichtlich. Die christliche Hoffnung verbürgt uns aber, dass gerade dieser Sinn nicht in sich selbst zusammenbricht, sondern dass er Bestand hat über das Vergehen hinaus, auch über das endgültig-diesseitige Vergehen im Tod. „Die Liebe“ sagt die Bibel, „ist stärker als der Tod“. Der Theologe Karl Rahner formuliert über diese Sinnperspektive: „Nicht eigentlich nach der Zeit kommt die Ewigkeit, sondern diese ist die vollendete Zeit. Aus der Zeit wird unsere Ewigkeit gezeitigt als die Frucht, in der, wenn sie geworden ist, alles bewahrt ist, was wir waren und wurden.“(SW 14, S. 119) Dabei ist diese Sinnperspektive alles andere als ein Patentrezept für das Gelingen des „unter einen Hut Bringens“ in Ehe und Familie. Sie mag auch recht vage und wenig konkret daherkommen. Aber welche andere Sinnperspektive gäbe es denn, die über ein bloßes Erleben und Vergessen hinausginge?

Deshalb lässt sich über das „Unter-einen-Hut-bring-Geschäft“ mit Rahners Worten zuletzt festhalten: „Wir verlieren nicht, sondern gewinnen beständig. Zwar weiß das letztlich nur der Glaubende. Aber ist es darum weniger wahr…?“(SW 14, S. 118)

Michael Feil